EINLEITUNG

I. Einführung in das Thema

Der für das philosophische Denken zentrale Begriff der Wahrheit ist seit einigen Jahren wieder verstärkt in die Diskussion geraten. Von verschiedener Seite werden Versuche zu einer Neubestimmung dieses Begriffs und zu einer umfassenden Theorie der Wahrheit unternommen. (1) Der Grund für diese Versuche liegt wohl nicht zuletzt in einem Ungenügen an dem traditionellen Wahrheitsbegriff, wie ihn Thomas von Aquin exemplarisch bestimmt hatte: "Veritas est adaequatio rei et intellectus". (2) Das Erkennen stellt nach diesem Verständnis eine Relation von zwei Bezugsgrößen dar, dem Intellekt beziehungsweise Denken und der vom Denken unabhängig bestehenden Sache, die Gegenstand des Denkens ist. Wird eine Auesage x als wahr behauptet, so bedeutet dies, daß zwischen den beiden Bezugsgrößen Übereinstimmung beziehungsweise näherungsweise Entsprechung behauptet wird, insofern der Verstand die Sache als so seiend beziehungsweise in der Weise bestehend behauptet, wie sie tatsächlich ist. Die Intention dieses Wahrheitsbegriffs ist, daß das Denken an der Sache, am Sein gemessen wird, und nicht umgekehrt. (3)

So unverzichtbar diese Adaequatio-Formel auf der einen Seite auch ist, so unzureichend ist sie auf der anderen Seite, zumindest in einein undifferenzierten und vorstellungsmäßigen Verständnis. J. Habermas (4) weist auf den Unterschied zwischen Tatsachen und Erfahrungsgegenständen hin. Was in einer Aussage berechtigterweise behauptet werden darf, was eine Aussage wahr macht, ist eine Tatsache. Ein Gegenstand der Erfahrung ist dagegen das, worauf sich eine behauptende Aussage bezieht. Tatsachen können nicht erfahren und Erfahrungsgegenstände nicht behauptet werden, sondern die Behauptung von Tatsachen kann sich nur auf Erfahrungen stützen und auf Gegenstände beziehen. Nur Gegenstande der Erfahrung sind "etwas in der Welt", nicht aber Tatsachen. Letzteres muß aber eine Adäquations- beziehungsweise Korrespondenztheorie der Wahrheit behaupten, indem sie von einer Korrespondenz von wahren Aussagen und Tatsachen spricht, denn dies kann nur einen Sinn haben, wenn die Tatsachen als Gegenpol der Aussagen "etwas in der Welt" und damit außerhalb des sprachgebundenen Denkens sind.

Dies wird noch deutlicher, wenn von einer Adäquation zwischen Denken und Sein geredet wird. Diese Redeweise könnte so verstanden werden, als würden erst zwei unterschiedliche "Bereiche" aufgestellt und dann nachträglich wieder in Verbindung zueinander gebracht. Indem sie auf diese Weise sozusagen von außen zusammengeschaut werden und ihre Korrespondenz ausgesagt wird, wird jedoch die grundsatzliche Gebundenheit der Erkenntnis an die Sprache, an den sprachlogischen Bereich übersehen. Wahrheit ist keine dinghafte Eigenschaft, die einem Gegenstand zugeschrieben werden könnte. Sie bezieht sich vielmehr auf Aussagen über Gegenstände und meint damit die Qualität eines Urteils.

... Im Rahmen einer solchen Auseinandersetzung zwischen Idealismus und (dogmatischem) Realismus steht die Peircesche Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Sein Anliegen ist es, neue, tragfähige Grundlagen zu finden, um den Realitätsbezug der Erkenntnis zu sichern und Wahrheit als Korrespondenz zu bestimmen.

II. Zur Biographie von Charles S. Peirce

...Charles Peirce gehört sicher zu den zu Lebzeiten am meisten verkannten, aber auch herausragendsten Philosophen der USA. Er war seiner Zeit weit voraus, und so wird er erst seit etwa 20 Jahren in vielfältigen Zusammenhängen wiederentdeckt. Auf dem Gebiet der Logik, Semiotik, Wissenschafts- und Erkenntnistheorie hat er Fragen aufgeworfen, die heute im Zentrum der philosophischen Auseinandersetzung stehen, und sie in origineller Weise und auf höchstem spekulativem Niveau beantwortet.

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(1) Vgl. L. Bruno Puntel, Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie, Darmstadt 1978.

(2) Vgl. Quaestiones disputatae de Veritate q.l, a.l; Summa Theologica q.l6, a.2 ad 2.

(3) Vgl. Josef de Vries, Wahrheit: Walter Brugger (Hg.) Philosophisches Wörterbuch, Freiburg/Br., 14. Auflage 1976, 448.

(4) Jürgen Habermas, Wahrheitstheorien: Helmut Fahrenbach (Hg.), Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen 1973, 215f.


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