1. TEIL: "THE FIXATION OF BELIEF"

I. Einleitung

...

II. Klärung des Ausgangspunktes

1. Die Grundlage: Wahrheit als Korrespondenz

Gleich zu Beginn des Hauptteils seines Aufsatzes gibt Peirce das Prinzip an, das später von entscheidender Bedeutung ist für die Bestimmung einer angemessenen Methode der Festlegung einer Überzeugung. Er fragt nach den Gründen der Gültigkeit menschlicher Schlußfolgerungen. Die naheliegendste Lösung wäre wohl, den Schlüssen subjektive Evidenz und Notwendigkeit zuzuschreiben, allein aufgrund ihrer Form und des inneren Zusammenhangs der Prämissen. Peirce sieht dies jedoch als eine psychologistische Begründung an. Das Prinzip der Geltung von Schlüssen liegt nicht im Bewußtsein, sondern "die Frage der Gültigkeit ist allein eine Frage der Tatsachen und nicht des Denkens" (5.365).

Von dieser Begründung der Gültigkeit beziehungsweise Wahrheit eines Urteils her zeigt sich Peirce grundsätzlich als Vertreter der klassischen Korrespondenztheorie der Wahrheit. Korrespondenz kann aber nicht nur bezüglich einzelner Tatsachen gelten, sondern sie muß sich auch auf den Zusammenhang von Tatsachen im Schluß beziehen. Der Zusammenhang der Prämissen und der Schlußfolgerung muß auf einem realen Zusammenhang der dort behaupteten Sachverhalte beruhen. Hierbei geht es hauptsächlich um die Gültigkeit der Induktion, das heißt des Schlusses von einzelnen Fällen auf eine allgemeine Regel. (1) Diesem Schluß kommt nur Wahrscheinlichkeitscharakter zu, was sich deutlich zeigt, wenn er durch die Tatsachen widerlegt, falsifiziert wird, das heißt wenn neue Tatsachen in der Erfahrung auftauchen, die der behaupteten Regel widersprechen.

2. Die Bestimmung des Schliessens durch "habits of mind"

Da auf dem Weg der Induktion keine völlig sichere Schlußfolgerung zu erreichen ist, zieht das Denken relativ willkürlich bestimmte Schlüsse eher als andere. (2) Der Grund dafür ist eine Verhaltensgewohnheit des Denkens ("habit of mind"), die bezüglich des Schliessens besteht, beziehungsweise sich eingerichtet hat. Dadurch werden einige Annahmen gemacht, die nicht (endgültig) bewiesen sind. Beispielsweise beobachtet man eine rotierende Kupferscheibe, die zwischen den Polen eines Magneten zum Stehen kommt. Nun schließt man, daß dies auch mit jeder anderen Kupferscheibe so geschehen wird. Dies ist jedoch durch die Erfahrung nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Der Schluß beruht auf der Annahme, dem leitenden Prinzip ("guiding principle"), daß, was von einem Stück Kupfer wahr ist, auch von einem anderen gilt. Im Falle des Kupfers und unter diesen Versuchsbedingungen bewährt sich dieses Prinzip. Jedoch schon bei Messing könnte das Experiment scheitern, wenn eine andere Legierung die magnetischen Eigenschaften des Messing verändert hat. Von den leitenden Prinzipien her lassen sich auch Fortschritte und Umwälzungen in den Naturwissenschaften beschreiben. In der klassischen Physik und Chemie bestand beispielsweise das leitende Prinzip, das Postulat von der Erhaltung der Materie, das bei der Erklärung vieler Phänomene (etwa chemischen Umwandlungsprozessen) vorausgesetzt wurde. Die Möglichkeit der Umwandlung von Materie in Energie, und damit die Außerkraftsetzung dieses Prinzips, wurde zuerst von Albert Einstein theoretisch postuliert (ausgehend von anderen, vorher unbekannten Erfahrungstatsachen) und dann auch durch Experimente bestätigt.

Es zeigt sich also, daß solche leitenden Prinzipien sehr stark die wissenschaftliche Erkenntnis bestimmen. Peirce verlangt daher, daß sie bewußt gemacht werden müssen, um überprüft werden zu können. Von hier aus ergibt sich die Fragestellung, die die weitere Entwicklung des Aufsatzes bestimmt: Nach welchen Kriterien lassen sich die leitenden Prinzipien beziehungsweise die Verhaltensgewohnheiten des Denkens bestimmen, und wie ist gegebenenfalls ihr Wahrheitsanspruch zu begründen? "Habits" sind aber notwendig mit Überzeugungen verbunden, und so geht die Frage nach der Bestimmung der "habits of mind" in die Frage nach der Festlegung einer Überzeugung über. Peirce beantwortet diese Frage, indem er von der Belief-Doubt-Theorie Alexander Bains (1818-1903) ausgeht. Dessen Anschauung lernte er durch den philosophisch interessierten Juristen Nicholas St. John Green 1871/72 im "Metaphysical Club" von Cambridge kennen. (3)

III. Die Festlegung einer Überzeugung als Ziel des Forschunqsprozesses

1. Zweifel und Überzeugung

Abgesehen von den verschiedenen Gefühlen, die Überzeugung und Zweifel begleiten, unterscheiden beide sich durch ihre praktischen Auswirkungen.

Alexander Bain definiert die Überzeugung folgendermaßen: "Überzeugung ist...wesentlich auf Handlung bezogen, das heißt auf Willensentschluß... Bereitschaft zum Handeln aufgrund dessen, was wir behaupten, ist, wie allenthalben zugegeben wird, das einzige, echte, unmißverständliche Kriterium der Überzeugung..." (4)

Auch Peirce will die Überzeugung nicht "metaphysisch", etwa unmittelbar in ihrem Bezug zu dem Erkenntnisobjekt, definieren, sondern durch ihre Konsequenzen für das Handeln. Er verbindet dabei Bains Theorie mit seinem Begriff des "habit": Eine Überzeugung bewirkt eine "Verhaltensgewohnheit, die unsere Handlungen bestimmen wird" (5.371). Solche Verhaltensgewohnheiten sind die allgemeinen Regeln des menschlichen Handelns. Da sie sich mit Hilfe der "habits of mind", der leitenden Prinzipien des Schließens, ergeben, sind folglich auch die "habits of mind" in einem weiteren Sinn Verhaltensgewohnheiten, die das Handeln bestimmen.

Wichtig ist noch die konditionale Formulierung der Wirkungen einer Überzeugung. Die Überzeugung soll nicht auf das faktische, aktuell feststellbare Verhalten reduziert werden, wie dies ein grober Behaviorismus tut. Vielmehr besteht diese auch unabhängig davon, ob sie gerade aktualisiert wird, und enthält außerdem ein Mehr, einen Sinnüberschuß gegenüber den einzelnen aktuellen Verhaltensweisen. So definiert Peirce: Die Überzeugung "versetzt uns in die Lage, daß wir uns auf bestimmte Art verhalten werden, wenn die Gelegenheit entsteht" (5.373).

Aus dem Zweifel jedoch folgt unmittelbar keine Handlung nach außen. Während wir unter allen Umständen versuchen, an einer einmal festgelegten Überzeugung festzuhalten, wollen wir den Zweifel möglichst überwinden. "Zweifel ist ein unangenehmer und unbefriedigender Zustand, in dem wir Anstrengungen machen, uns von ihm zu befreien und den Zustand der Überzeugung zu erreichen" (5.372). Der Zweifel geht also der Überzeugung voran und soll zu ihr führen. So hat er eine durchaus positive und wichtige Wirkung: Er bringt den Prozeß der Festlegung einer Überzeugung in Gang, also einen Denkprozeß. Diesen Prozeß nennt Peirce Forschung ("inquiry"), womit aber nicht nur die wissenschaftliche Forschung gemeint ist; auch die Festsetzung einer Überzeugung im Alltag unterliegt den gleichen Gesetzen.

2. Das Ziel des "Forschungsprozesses"

Es ist bis jetzt folgendes Modell des Forschungsprozesses erreicht:
Zweifel (Ausgangspunkt --> "Forschung" --> Überzeugung (Ziel)

In seinem zweiten Aufsatz "How to Make our Ideas Clear" präzisiert Peirce dieses Modell etwas. Er bemerkt dort, daß eine Überzeugung nicht der endgültige Abschluß eines Forschungs- bzw. Denkprozesses ist, sondern eher zu bezeichnen ist als der "Halbschluß, der eine musikalische Phrase in der Symphonie unseres geistigen Lebens abschließt" (5.397)...

Es zeigt sich, daß sich auf diese Weise jeder Fortschritt in der Erkenntnis, sei es in den Naturwissenschaften (sinngemäß gilt dies auch von den Geisteswissenschaften) oder im Alltag, beschreiben läßt. Noch mehr: Peirce will keinen anderen Ansatz gelten lassen; er kommt daher zu der zentralen Ausgangsthese seines Aufsatzes: "Der einzige Gegenstand der Forschung ist die Festlegung einer Überzeugung" (5.375). Damit werden falsche Vorstellungen gebrochen, die mit einer klassischen Adäquationstheorie der Erkenntnis und der Wahrheit verbunden sein können. Der Gegenstand beziehungsweise das Ziel der Forschung kann nicht unmittelbar die Übereinstimmung mit der unabhängig vom Denken bestehenden Sache sein, dennn "nichts außerhalb des Bereiches unserer Erkenntnis kann das Ziel unseres Forschens sein, denn was unseren Verstand nicht beinflußt, kann auch nicht Motiv einer Anstrengung des Verstandes sein" (5.375). Wir können uns nicht außerhalb der Erkenntnisbeziehung stellen, von dort aus Subjekt und Objekt zusammenschauen und ihre eventuelle Übereinstimmung feststellen. Der Erkennende bleibt immer im "Diesseits" eines Erkenntnisubjekts; er ist unentrinnbar an die Sprache gebunden.

Nun scheint damit der Begriff der Wahrheit ad absurdum geführt zu werden: "Wir mögen uns zwar einbilden, das sei nicht genug für uns und wir suchten nicht bloß eine Meinung, sondern ein wahre Meinung. Aber stelle diese Einbildung auf die Probe, und sie erweist sich als grundlos, denn sobald eine feste Überzeugung erreicht ist, sind wir völlig zufriedengestellt, gleichgültig ob die Überzeugung wahr oder falsch ist" (5.375). Es ist jedoch die Stellung dieser These in Peirce's Argumentationsgang zu beachten. Es geht ihm zunächst nur darum, ein solides, unbezweifelbares Fundament für seine Untersuchung zu schaffen, bei dem er mit möglichst wenig zusätzlichen Annahmen auskommt. Wenn man daher rein auf der Ebene der Analyse des empirisch feststellbaren Erkenntnisprozesses bleibt (im Sinne der Belief-Doubt-Theorie) und keine metaphysischen Theorien über diesen zu Hilfe nimmt, so ist das Ziel der Forschung allein als Festlegung einer Überzeugung zu beschreiben. Von diesem Ausgangspunkt aus stellt sich Peirce dann aber gerade die Frage nach den Methoden der Festlegung einer Überzeugung und schließlich auch nach der Wahrheit von Überzeugungen.

...à suivre


(1) Damit verbunden ist die Frage nach der Geltung der Hypothesis, die die allgemeine Regel vermutet, für die die Induktion die Bestätigung liefert. - Die Geltung der Deduktion ist unproblematisch, sie wird allerdings von Peirce auch als eine "Frage der Fakten" verstanden.

(2) Vgl. 5.367.

(3) Karl-Otto Apel, Der Denkweg von Charles Sanders Peirce, Frankfurt/M. 1975, 36.

(4) Alexander Baln, The Emotions and the Will, New York 3/1875, 505f. (Zitat nach ebd. 112f.)


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